Unternehmen bewegen sich in einem dynamischen, volatilen Umfeld, geprägt durch Unsicherheiten und Komplexitäten. Nicht selten akzentuieren sich daraus für die Mitglieder von Wirtschafts-, Branchen- und Berufsverbänden Spannungen. Aber auch das Innenleben der Verbände ist in seinem Funktionieren durch verschiedene Verwerfungen beeinträchtigt. Wie umgehen mit den unvermeidlichen Spannungsfeldern, die eigentlich niemand will und trotzdem alle haben?
Was ist der richtige Mix zwischen Individualleistungen und kollektiven Leistungen, um eine möglichst starke Mitgliederbindung und Neugewinnung sicherzustellen, ohne dem Trittbrettfahren Vorschub zu leisten? Wie wird die durch die Mitglieder in der Zwecksetzung bestimmte Sachzielorientierung durch die Fokussierung des Managements auf formale Wirtschaftlichkeits- oder Wachstumsziele beeinträchtigt? Ist der Anteil der Beitragsfinanzierung gegenüber einer Finanzierung über Preise oder Leistungsaufträge zu reduzieren, um dem Management mehr Freiheitsgrade in der finanziellen Ausrichtung zu gewähren? Können in Konsequenz daraus die Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse beschleunigt werden, ohne langatmige Beteiligung der Betroffenen? Oder die Klassiker der verbandlichen Verwerfungen: Was braucht es, damit das strategische Führungsorgan seine nicht delegierbaren Aufgaben wahrnehmen kann und gleichzeitig die hauptamtlich Tätigen ihre auf dem Informations- und Wissensvorsprung basierende Expertise zielführend einsetzen können? Wie gestaltet sich in föderalistisch aufgebauten Verbänden eine ausgewogene Machtverteilung zwischen dem Zentralverband und den regionalen bzw. fachlichen dezentralen Einheiten?
Neben den beschriebenen verbandsinternen Spannungsfeldern kommt erschwerend hinzu, dass das Umfeld vieler Verbände nicht nur evolutorischen, sondern zunehmend disruptiven Entwicklungen unterworfen ist. Unsere Erwartungen an zukünftige Entwicklungen sind geprägt durch vergangene Erfahrungen, die Realität ist aber häufig eine andere. Eben noch den passenden Entwicklungspfad in der digitalen Transformation suchend sowie bestrebt, dem Prinzip der Nachhaltigkeit in all seinen Facetten Folge zu leisten, meldet bereits die Künstliche Intelligenz ihr Potenzial an, das Spektrum verbandlicher Spannungen zu erweitern. Das Management der Verbände bleibt eben eine «spannende», eine herausfordernde Aufgabe, bei der mitunter viele Bälle jonglierend in der Luft zu halten sind.
Wie umgehen mit Spannungen?
Das Management von Verbänden ist kein Zustand, sondern eine Bewegung, die Spannungen impliziert. Spannungen können nicht vermieden werden. Es gilt das Aufbrechen von Spannungen in bisweilen schwer lösbaren Konflikten zu vermeiden.
Gute Eskalationsprophylaxe beinhaltet eine bei den primären Zielgruppen breit abgestützte, der Zwecksetzung des Verbandes entsprechende, aktuelle und einfach nachvollziehbare Positionierung und strategische Ausrichtung. Davon leitet sich die Verteilung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im gesamtverbandlichen Rollenverständnis ab.
Zusätzlich zu diesen strategisch-strukturellen Voraussetzungen und einem zielgruppenzentrierten Leistungsmix helfen die prozessualen Bedingungen mit ausgewogenen Willensbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen gegen ein Aufbrechen oder Chronifizieren von Verwerfungen. Die «Software» dazu kann den soziokratischen Prinzipien entlehnt werden. Gute Ratgeber sind insbesondere:
- sich auf Augenhöhe zu begegnen
- grösstmögliche Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Gebaren
- Vernunft und Pragmatismus
- sowie der Wille auf Empirismus fussender kontinuierlicher Verbesserung
Ein Denken in Grautönen ist im Umgang mit Spannungen erfolgsversprechender als ein Verhaften im grellen Weiss oder tiefen Schwarz. Hierarchien pachten ebenso wenig die Wahrheit wie agile Organisationsformen die Alternative.
Fazit
Spannungen sind die Regel, nicht die Ausnahme. In Verbänden sind sie systemimmanent. Man muss nicht in einem dualistischen Weltbild gefangen sein, um zu erkennen, dass Spannungen das Feld abstecken, auf dem sich das verbandliche Leben abspielt. Rechtzeitig adressiert und angegangen sind Spannungen Katalysatoren für Lösungen hin zu einer prospektiven Weiterentwicklung des Verbandes. Aufbau und Pflege eines referenziellen Gestaltungsrahmens, wie ihn das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen darstellt, hilft dem Management, Spannungsfelder rechtzeitig zu adressieren. Er hilft zu verstehen sowie die Auflösung einer Spannung bewusst durch das Verständnis der Spannung als konstruktive Lösung zu ersetzen.
Weiterführend:
Das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen, 10., neu bearbeitete Auflage, S. 34ff
Von der Herausforderung einer agilen Steuerung in Wirtschafts-, Branchen- und Berufsverbänden