Unter ‘Nudging’ wird jener kleine Schubser verstanden, wegen dem du dein Verhalten änderst ohne es zu merken. Die bekannteste Art des Nudgings ist die Umkehrung des Sprichworts «Aus dem Auge, aus dem Sinn»: Was dir ins Auge gerückt wird, kommt dir in den Sinn und du könntest es somit wollen. Wie etwa der Schokoriegel an der Supermarktkasse. Oder bei der Google-Suche oder auf Youtube: Da tauchen rechterhand Vorschläge in deinem Gesichtsfeld auf und mit einem Klick bist du an einem Ort, wohin du zuvor noch nicht hin wolltest.
Dieses Ins-Auge-rücken-Nudging nutzen beispielsweise auch gesundheitsbewusste Schulkantinen, die statt Schokolade Obst an der Kasse anbieten: eine unmerkliche Intervention mit markant gesundheitsfördernder Wirkung. Ähnlich gelagert ist ein anderer Fall: In einem Warenhaus, in dem Lift und Treppe nebeneinander liegen, benutzen etwa 80% der Kundschaft den Lift für den Weg nach oben. Malt man nun auf den Boden vor dem Aufgang einen roten Streifen zur Treppe hin, benutzen fast 70% die Treppe. Der Streifen wirkt quasi als unbemerkter Leit-Faden.
Trendsetter im Bereich des behördlichen Schubsens war die britische Regierung, die sich 2010 unter David Cameron eine Nudge Unit zugelegt hat. Dieser Abteilung ist es beispielsweise gelungen, mit zwei Sätzen am Anfang des Standard-Mahnbriefs an säumige Steuerzahler, die Steuereinkünfte massiv zu erhöhen. Die Sätze lauteten: «Neun von zehn Bürger/innen zahlen ihre Steuern rechtzeitig. Im Moment gehören Sie zu einer kleinen Minderheit, die noch nicht bezahlt hat». Diese zweite Art des Nudgings nutzt die sozialpsychologische Erkenntnis, dass die wenigsten Menschen verhaltensauffällig sein wollen und sich deshalb der wirklichen oder angenommenen Norm anpassen (aus psychologie heute, 8/2015)
Trägheit und Gewohnheit – gut fürs Nudgen
Neben diesen beiden Arten – Ins-Auge-rücken und Sich-nach-der-Norm-richten – ist das Gesetz der Trägheit die dritte Art des Nudgings. Es besagt, dass die meisten Menschen in den meisten Fällen den bequemsten Weg nehmen und/oder ihrer Gewohnheit folgen. Dieser Nudging-Bereich wird von Firmen seit langem (z.B. mit Markenbindung) und seit kurzem auch von Amtsstellen genutzt. Zwei Beispiele behördlicher Massnahmen mit Massenwirkung:
- In einer britischen Region, in der traditionell viel stark gesalzene «Fish and Chips» gegessen werden, war der (infolgedessen) weit verbreitete Bluthochdruck zu einem medizinischen Problem geworden. Der Versuch, die Leute mit Mahnungen zu einem geringeren Salzkonsum zu bringen, blieb fruchtlos. Genützt hat dagegen, die üblichen Salzstreuer mit 17 grossen Löchern durch solche mit weniger und kleineren Löchern zu ersetzen. Denn massgebend war die feste Gewohnheit, den Salzstreuer jeweils dreimal zu betätigen. Und diese war resistent gegen Appelle.
- In Österreich haben über 99% der Bevölkerung einen Organspendeausweis, in Deutschland hingegen nur 40%. In beiden Ländern kann man frei wählen, ob man seine Organe nach dem klinischen Tod spenden will oder nicht. Der Unterschied ist, dass als behördlicher Standard in Österreich jede/r Organspender:in ist, solange er sich nicht aktiv abmeldet. In Deutschland ist es umgekehrt: Man wird nur Spender:in, wenn man sich dazu anmeldet.
Ob Gewohnheit oder Bequemlichkeit, was eingerichtet ist, wird getan bzw. benutzt. Grossmeisterin dieses Nudgings ist Google. Ihr Geschäftsmodell ist sozusagen das Kombi von Bequemlichkeits- und In-die-Sicht-rücken-Nudging: Alle googeln, weil so bequem. Und klicken ab und zu auf die Werbung, die ins Gesichtsfeld gerückt wurde.
Nudging für Ökologie und Change
Nudging-Massnahmen könnten Konsummuster deshalb massenhaft ändern, weil sie an der Grenze der Wahrnehmung und damit unterhalb der Trotz-Schwelle liegen. Ganz im Gegensatz zu den konventionellen Öko-Appellen zu Verhaltensänderung. Diesen folgt nur, wer schon überzeugt ist und also eine niedrige ökologische Trägheit hat. Der Rest trotzt. Nichtdestotrotz meinen Umweltorganisationen, mit Informationskampagnen, Öko-Fussabdruck-Plattformen und Plakaten könnten Massen bewegt werden. Mit eher mässigem denn massenhaftem Erfolg.
Jedenfalls und erstaunlicherweise finden sich im Umweltbereich kaum Nudging-Ansätze. Bekannt ist zwar etwa der nudgende Hinweis in Hotels, dass die Mehrheit der Gäste ihre Badetücher mehrfach benutzen. Das stiftet manche an, das ebenso zu tun – was Tonnen Waschmittel einspart. Und ein Experiment zeigt das Potenzial: «In einem Experiment begannen Hauseigentümer messbar weniger Strom zu verbrauchen, als man sie darauf hinwies, dass ihre Nachbarn bereits zu den Energiesparerenden gehörten. Gab man andere Gründe wie Umweltschutz, Kosteneinsparung oder Sorge für die zukünftige Generationen an, war der Effekt deutlich weniger ausschlaggebend» (aus psychologie heute 8/2015).
Und will man eine Organisation verändern, soll man am besten das System nudgen, wie es eine Kollegin und Expertin in Leadership aufstrebenden Führungskräften riet. In grosse Änderungen wie etwa Organisationsentwicklungen werde oft viel Energie für wenig nachhaltige Veränderung gesteckt. In der Regel sei es besser, kleine Schritte zu tun, die man kaum merke, doch in eine Richtung gehen. Günstige Momente erkennen und kleine Änderungen einführen, sei oft erfolgreicher als grosse Konzepte.
Das wäre ganz nach dem «Elefant-Reiter-Weg»-Modell. Entwickelt haben dieses Chip und Dan Heath aus der Analyse von 50 Fällen realer Änderungen vom Haushalt über Organisationen und Gemeinden bis hin zu Ländern. Das Modell besagt, dass der Elefant – Symbol für die menschliche Trägheit als Gewohnheitstier – nur dann eine neue Gewohnheit annimmt, wenn der Weg dazu nudgingartig in kleine Schritte zerlegt wird und der Weg dem Elefanten als machbar erscheint. Auch wenn der Reiter (die Kognition) ihm zuruft, endlich zu springen. Das macht er nicht. Doch gelingt der erste kleine Schritt, wird ein zweites Schrittchen und ein drittes wahrscheinlicher folgen. Siehe: „SWITCH – old habits die hard“, Chip & Dan Heath, auf deutsch 2011.
PS: Eine seit Menschen Gedenken bekannte Art des Nudgings ist der Charme: Wieviel eher leistet man einem freundlichen Hinweis Folge als einem harschen.