Die B’VM freut sich, mit Kuno Roth einen ersten Gastblogger zu begrüssen. Als Co-Präsident einer NPO und selbständiger Berater teilt er hier in Zukunft seine Erfahrungen im Bereich des organisationalen Lernens mit Ihnen.
Warum zwei Drittel aller beruflichen Weiterbildungen nicht ihren Zweck erfüllen und was man besser machen könnte, lernen wir von Kuno Roth
Rund 6 Milliarden Franken* werden in der Schweiz pro Jahr für berufliche Weiterbildung ausgegeben, die meist in Form von Kursen unterschiedlicher Länge stattfindet. Diese hohe Bereitschaft von Firmen und Organisationen, in die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu investieren, ist eindrücklich und im Prinzip lobenswert. Weniger lobenswert ist – das legen verschiedene Untersuchungen nahe -, dass diese Investitionen oft nicht die gewünschten Resultate zeitigen. So zeigen eine Studie aus Deutschland (gemäss Psychologie Heute vom März 2013) sowie zwei Untersuchungen aus den USA (siehe FORBES 2016 und Harvard Business Review 2017), dass ungefähr zwei Drittel dieser Investitionen nicht die beabsichtigte Wirkung erzielen, nämlich einen Teil des Gelernten später im Betrieb tatsächlich anzuwenden. Zwar wurden die Studien mit Pro-Profit-Firmen durchgeführt, doch vermutlich ist dies im Non-Profit-Bereich ähnlich.
Ein Grund dafür dürfte die weit verbreitete Mentalität sein, ein auftretendes Betriebsproblem mit einem Kurs beheben zu wollen, also z.B. wenn Mängel in der Feedbackkultur festgestellt werden, die Leute durch einen entsprechenden Kurs zu schleusen und zu denken, damit sei das Problem aus der Welt geschafft. Ist es in aller Regel aber nicht.
Der zweite Grund – und um den geht es hier – weshalb Kurse oft nicht wie gewünscht wirken: Nach einer Weiterbildung fehlt oft die nötige Unterstützung im Betrieb, das Gelernte in die Praxis zu transferieren; deshalb ändert sich in dieser meist nicht viel. Sei es, weil Betrieb oder Vorgesetzte eigentlich nichts ändern wollen, weil der hektische Alltag verhindert, Gelerntes auszuprobieren oder sei es, weil die Absolventin mit dem Gelernten allein gelassen wird.
Transfer mit Peers
In die Weiterbildung der Mitarbeitenden zu investieren ist gut, noch besser ist, dafür zu sorgen, dass der Transfer von der Theorie des Schulzimmers in die Praxis des Alltags nachhaltig geschieht. Plakativ gesagt: Kein Kurs ohne Transferplan. Und die einfachste Massnahme für den Transfer ist Peer-Learning oder Peer-Support. Im ersten Fall werden zwei Kurs-Abgänger*innen für beispielsweise einen wöchentlichen Austausch während einigen Monaten nach dem Abschluss «gepaart»; beim Peer-Support erhält die Abgängerin einen Sparring-Partner im Betrieb.
Wie beim Sport im Training: Zusammen praxisnah zu üben, ist eine der wirksamsten und billigsten Lernmethoden, also das «Lernen von und mit Seinesgleichen». Das kann prinzipiell auf zwei Arten geschehen. Die erste: Lernen aus den Erfahrungen anderer in ähnlicher Situation; man muss nicht jedes Rad vollumfänglich selbst erfinden – man kann von anderswo erfundenen Rädern profitieren.
Die zweite Art des Lernens von Seinesgleichen wurde in einer Unterform – nämlich der «Peer-Review» – während der Pandemie einem breiten Publikum bekannt. Diese «Review» bedeutet, dass die Resultate einer Forschungsgruppe vor der Publikation von mehreren Forscher*innen aus dem gleichen Gebiet anonym und kritisch begutachtet werden. Damit wird gegenseitig aus den Erfahrungen der anderen Peers gelernt: Die kritischen Begutachter lernen aus neuen Resultaten, die Forschenden lernen daraus, was ihre Kolleg*innen davon halten. Mit diesem Review-Prozess wird die Qualität der Forschung verbessert.
Peer-Learning als Kultur etablieren
Diese zweite Art des «Lernens von und mit Seinesgleichen» wird je nach Form eben «peer review» (kollegiale Überprüfung), «peer support» (kollegiale Beratung) oder «peer learning» (miteinander lernen) genannt. Solche kollegiale Lernformen ist natürlich nicht nur unter Forschenden effektiv. Tauschen Gesundheitspolitiker, Lehrkräfte oder Kampaignerinnen über Erfolge, Fehler und Herausforderungen aus, können sie gegenseitig ihre Praxis verbessern.
Und können dabei die «Peer-Paare oder -Trios» aufwandsarm arrangiert werden, ist Peer-Learning kostengünstig und die erste Wahl. So wie das übrigens ja bei Kindern ohne weiteres einfach geschieht, nämlich von den Schulkamerad*innen und in der Clique durch Nachahmen oder Abgucken zu lernen (im Guten wie im weniger Guten freilich; doch hier geht nur um die Effektivität des Lernens, nicht um die Inhalte).
Arrangiertes Lernen von und mit Peers sollte also eine selbstverständliche Grundlage beruflicher und anderer Weiterbildungen werden, um damit den Transfer von der Theorie in die Alltagspraxis wahrscheinlicher zu machen. Darum geht’s ja schliesslich.
Kommt hinzu, dass Peer-Learning hilft, in einer zunehmend volatilen, unsicheren und fragilen Welt nicht unterzugehen. Denn Lernen mit Seinesgleichen ist auch emotionaler Support. Ich vermute, dass dieser emotionale Anteil kollegiales Lernen so effektiv macht: Unter Seinesgleichen kann man offen(er) über Schwierigkeiten sprechen und direkt(er) von gelingender Praxis der anderen lernen. Übt man dann grad noch zusammen, bleibt es haften.
Stellt sich nun noch die Frage: Wie stellt man fest, ob und inwieweit Lern-Transfer von der Theorie in die Praxis stattfindet? Davon handelt die nächste Kolumne.
PS: NGOs intervenieren mit ihren Kampagnen gesellschaftlich und wollen so Änderung bewirken. Man will, dass sich jemand ändert, damit sich etwas ändert. Dieser Jemand kann eine Einzelperson, eine Gruppe, ein Dorf oder die Mehrheit der Abstimmenden sein. Jede Verhaltensänderung beruht auf einem bewussten oder unbewussten Lernvorgang – etwas Neues wird gelernt und/oder etwas Altes ent-lernt. Lernprozesse sind also für gesellschaftliche Änderung zentral. So gesehen sind Kampagnen gesellschaftliche Lerninterventionen. Und somit erstaunt es etwas, dass Lernprozesse und Lernmethoden bei NGOs in meiner Wahrnehmung eher ein marginales Dasein fristen. Da ist man im Sport weiter. Jedes 4. Ligateam wird trainiert, übt zwei Mal wöchentlich und versucht, das Gelernte in ein verbessertes Spiel umzusetzen: Könnte man auch in Kampagnen und Projekten.
* Die einzige dazu gefundene Untersuchung von Dolores Messer und Stefan Wolfers stammt von 2009, Zitat: «Eine Hochrechnung (…) zeigt ein grosses Marktvolumen in der Höhe von rund 1% des Bruttoinlandproduktes (BIP) oder 5,3 Mrd. Franken. Rund die Hälfte dieses Volumens wird von den Nachfragenden selbst bezahlt; für den Rest kommen die Arbeitgeber oder staatliche Institutionen auf.» Diese Zahl dürfte in den letzten 13 Jahren etwas gewachsen sein.