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Wie die Transformations-Kurve kratzen?

Was haben Trump-Wahl und Organisationsentwicklung gemeinsam? Die Angst vor Veränderung und der Widerstand dagegen. Eine Erklärung, warum ein so kolossaler Unfall von Mensch – pardon l’expression – gewählt wurde, ist sicher die, dass es Trump gelungen ist, Verunsicherte hinter sich zu scharen mit dem Versprechen, dass es mit ihm wieder zurück zum Altbewährten gehen werde und damit diese Ängste ansprechen sowie Widerstände bündeln konnte. Dem Populismus ist es egal, dass ein Zurück gar nicht möglich ist. Er bedient ein Identitätsbedürfnis (‘make America great again’) und klammert die Sachfragen aus – denn die Probleme lösen sich von selbst, sobald wir zu den glorreichen Zeiten zurückgekehrt sind. 

Wer Organisationsentwicklung macht, weiss, dass Umstrukturierungen und andere Veränderungen stets Ängste und Widerstände auslösen, offene oder versteckte. Nicht bei allen, doch viele reagieren mit Unverständnis für die Massnahmen, Misstrauen dem Initiator gegenüber oder mit Angst vor Verlust von Vorteilen. Wer eine Organisation entwickeln will, ist in der Regel gut beraten, behutsam vorzugehen, also das Neue gemeinsam zu entwickeln und schrittweise einzuführen. So wie man sich beim Schwimmengehen langsam ‘annetzt’ und sich an die Kälte des Wassers allmählich gewöhnt und feststellt, dass es gar nicht so schlimm ist.

Dringlichkeit heisst nicht Möglichkeit

Und ähnlich wie bei einer Organisationsentwicklung verhält es sich bei gesellschaftlichen Entwicklungen. Auch sie lösen Ängste aus. Das menschliche Ur-Bedürfnis nach Sicherheit führt gerade in unruhigen, volatilen, unsicheren Zeiten verstärkt zu reflexartigem Widerstand gegen Veränderung. Damit muss rechnen, wer Veränderung will: Es ist das ein gewichtiger Grund, weshalb Transformation nicht per Revolution, Dekret oder Appell geht. 

Armin Nassehi betont in seinem lesenswerten Buch «Kritik der grossen Geste», dass gesellschaftliche Transformation nicht aufgrund von grossen Worten (bzw. eben Gesten) geschieht: Man könne zwar «perfekte Ziele imaginieren, grosse Dringlichkeit postulieren, moralische Ansprüche begründen und gute Lösungen entwerfen», was aber «nichts wert ist, wenn nicht ins Kalkül gezogen wird, dass der Gegenstand [die Gesellschaft], um den es geht, selbst und eigensinnig auf jeden Versuch der Intervention reagiert» [1]. 

Es sei ein Kurzschluss, von der Dringlichkeit gleich auch auf die Möglichkeit der Zustimmungsfähigkeit zu setzen. Denn jede Transformation findet in einer Welt statt, die bereits da ist und die mit ihren eigenen Mitteln darauf reagiert, unter anderem mit populistischen Gefährdungen der Demokratie. 

So gesehen ist Trump nur ein Symptom, ein unheimlicher Ausdruck solcher Ängste vor und Widerstände gegen Veränderungen. Wenn man sich vor Augen hält, was er alles unverhohlen verkörpert – rassistisch, sexistisch, rachsüchtig, käuflich, egotrippig etc. – ist er ein purer Gegenentwurf allen Fortschrittlichen. Da er aber aktiv und real gewählt worden ist, ist es nach meinem Dafürhalten zu einfach zu sagen, die Demokratische Partei habe eine falsche Wahlstrategie gewählt und Biden seine Kandidatur zu spät zurückgezogen. Es ist ein kompletter Backslash, unglaublich bitter und muss allen Engagierten im Sinne von Armin Nassehi zu denken geben: Irgendetwas muss grundsätzlich falsch gelaufen sein, dass es nicht möglich war, breiter mit transformativen Anliegen zu wirken und dass die Ängste vor Veränderungen von einem als kriminell verurteilten Populisten abgeholt werden konnten. 

 

Studie zeigt: Transformation Ja, Begleiterscheinungen Nein

Und das, was Nassehi als Herausforderung allgemein beschreibt, nämlich «angesichts der notwendigen Veränderungen mit der (…) Unbeweglichkeit gesellschaftlicher Routinen in allen Milieus umzugehen, besteht darin, Kontinuitätserfahrungen in den Wandel einzubauen», zeigt eine kürzliche Klima-Studie der Friedrich-Ebert Stiftung konkret auf. Sie trägt denn auch den Untertitel «Wie sich beim sozial-ökologischen Umbau gesellschaftliche Barrieren überwinden und skeptische Milieus an Bord holen lassen». Um herauszufinden welche Wahrnehmungen, Interessen und Befürchtungen die Menschen mit der sozialökologischen bzw. der ‘Klima-Transformation’ verbinden, zu was es breite Zustimmung und welche Hindernisse es gibt, hat die Stiftung eine repräsentative Befragung in 19 europäischen und nordamerikanische Ländern durchführen lassen [2]. 

Der Studie Quintessenz, also was «die westlichen Menschen» wirklich über die Transformation denken, lautet: «Die grosse Mehrheit der Bevölkerungen steht nicht der Klima-Transformation bzw. dem nötigen Strukturwandel selbst, aber seiner potenziellen negativen Begleiterscheinungen kritisch bis ablehnend gegenüber». 

Genauer: Der Grossteil der Bevölkerungen ist sich der Gefahren des Klimawandels bewusst – so stimmen 84% der Befragten der Aussage zu, «Ja, in meinem Land ist ein grundlegender Wandel unserer Wirtschafts- und Lebensweisen nötig.» Auf der anderen Seite aber befürchten 70% der Befragten, dass «ein grundlegender Wandel unserer Wirtschafts- und Lebensweisen für mich mit hohen Kosten verbunden ist.» Und über 60% % meinen, dass es «in unserem Land wichtigere Probleme als den Klimawandel» gibt und sie glauben, dass «Massnahmen zum Klima- und Umweltschutz sozial ungerecht sind, da sie vor allem Geringverdienende belasten».

Auch grosse Lösungen brauchen kleine Schritte

Die Ebert-Stiftung leitet aus diesen Befunden Empfehlungen für Narrative, Kommunikation und politische Maßnahmen in fünf Bereichen ab, zusammengefasst:

  • Transformationen müssen sozial ausgestaltet werden: (Sehr) Reiche sind zu besteuern.  Geringverdienende dagegen sind finanziell zu unterstützen, werden sie durch Massnahmen unverhältnismässig getroffen. 
  • Das Gemeinwohl und die persönliche Lebensqualität fördern, indem Konsumverzicht als Gewinn an Lebensqualität erlebt wird. 
  • Bürger:innen sind aktiv einzubeziehen und zu beteiligen, dann kommt auch nicht  die Wahrnehmung auf, dass eine Elite bestimme: Lokale Lösungen von Bürger:innenräte initiiert und sorgfältig kommuniziert, wecken positive Emotionen und können soziale Normen ändern. 
  • Das heisst auch, die Kommunikation nicht auf Angst bauen und den Wandel nicht als radikal darstellen. Also in überschaubaren Schritten, die den Gewinn an Lebensqualität erlebbar machen: Auch grosse Lösungen brauchen kleine Schritte, wie es Armin Nassehi formuliert.
  • Soziale Normen über gelingende Praxis ändern, z.B. den Strukturwandel durch aktive Industrie- und Arbeitsmarktpolitik gestalten, um die Ängste vor dessen als negativ wahrgenommenen Begleiterscheinungen aufzufangen (und das nicht den Trumps überlassen). Sowie finanzielle Absicherung und Anschubfinanzierungen wie auch Umschulungen anbieten, um den Wandel abzufedern. 
    Nota bene: Soziale Normen zu ändern geht eigentlich nur mit einer breiten Partizipation von Bevölkerung, Unternehmen, Belegschaften, Bewegungen und Gewerkschaften (mehr dazu in der Kolumne «Wenn Umweltschutz einladen ist»).

Bei all dem muss der Ton gut gewählt sein: anerkennend, ansprechend, konkret und nicht belehrend moralisch. Oder metaphorisch gesprochen: Dringliche Appelle, radikale Ersatzhandlungen oder disruptive Einführungen sind für viele so, als ob ein Autofahrer vor der Kurve beschleunigen würde – und dann eben aus ihr herausgetragen wird. Die Transformationskurve muss mit Bedacht angegangen werden, sonst folgt der Widerstand jener auf dem Fuss, die stark bremsen möchten, wenn sie die Kurve als unübersichtlich wahrnehmen. Beschleunigt werden kann ausgangs Kurve – nachdem in der Kurve das Neue langsam erfahren werden konnte. Anders gesagt: Veränderte Einstellungen sind nicht primär Voraussetzung für Transformation, sondern gehen mit ihr einher. 

Denn bedenke: Wer keine Transformationsängste hat, ist nicht unbedingt ein besserer Mensch, aber sicher ist er ein privilegierter: wegen dem Vorhandensein genetischer, sozialer, mentaler, bildungsmässiger oder ökonomischer Ressourcen, über die nicht alle gleichermassen verfügen. 

Doch zur Ansprache braucht es nicht nur einen guten Ton, sondern eben das Denken der gesellschaftlichen Transformation in kleinen Schritten, da sie im Spannungsfeld ‚demokratisch partizipativ versus autoritär’ stattfindet und bei zu hohem Tempo eben kippt. Dafür ist eine Art Politik gefragt, die Ängste anders als manipulativ ansprechen kann, die auf Zuhören und gemeinsamen Gestalten basiert. Ausserdem Politiker:innen, die Unsicherheiten zulassen sowie Bürger:innen, die sich an Lernprozessen beteiligen und Widersprüche aushalten (lernen). Nochmals Nassehi: «Wenn der (…) soziologische Satz stimmt, dass die gesellschaftliche Praxis vor allem aus Wiederholung und Bewährung besteht, muss man ihr, der gesellschaftlichen Praxis, etwas anbieten, das sie wiederholen kann.»

[1] Armin Nassehi, «Kritik der grossen Geste – anders über gesellschaftliche Transformation nachdenken», C.H. Beck, 2024

[2] Diese Studie basiert auf den sogenannten Sinus-Milieus, mit welchen die Unterschiede in Einkommen, Bildung und Beruf mit Werten, Alltagseinstellungen, Lebensstilen und Lebenszielen von Menschen in diesen Ländern differenziert werden. Solche Studien eignen sich, um Verteilungs- und Wertekonflikte und damit die gesellschaftlichen Herausforderungen differenziert zu betrachten. Mehr dazu hier oder direkt in der Studie:
Claudia Detsch, «Des Klimas Gretchenfragen – Wie sich beim sozial-ökologischen Umbau gesellschaftliche Barrieren überwinden und skeptische Milieus an Bord holen lassen – Internationaler Vergleich», Friedrich-Ebert-Stiftung, 2024  (Link zum PDF)

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